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Suchterkrankte zwangsweise unterbringen?

Warum zwangsweiser Entzug nicht funktioniert

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Das Problem

Jugendliche mit Suchtverhalten werden oft nur kurzzeitig auf einer psychiatrischen Station aufgenommen. Relativ bald entlässt man sie, jedoch ohne passende Anbindung an Therapieeinrichtungen für minderjährige Suchtkranke. Für die betroffenen Jugendlichen, ihre Angehörigen und ihre Betreuungspersonen ist dieser Zustand in höchstem Maße belastend. Weil stationäre Suchttherapie-Zentren für junge Menschen fehlen, wird immer wieder gefordert, das Unterbringungsgesetz (UbG) solle doch zulassen, dass junge Menschen in so einem Fall zwangsweise auf einer psychiatrischen Station aufgenommen werden.

Der rechtliche Hintergrund

Das Unterbringungsrecht könnte die Anhaltung suchterkrankter Menschen jedoch gar nicht zulassen. Das dem UbG übergeordnete Verfassungsrecht (konkret das „Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit“) sieht einen hoheitlichen Freiheitsentzug allein aufgrund einer Suchterkrankung nicht vor. In den Erläuterungen zum Sachwalterrecht (1981) findet sich die entsprechende Begründung:

Zwang und Rechtsbeschränkung sind nicht der geeignete Weg, um einem Süchtigen zu helfen. Erfahrungsgemäß sind Betreuung und Behandlung nur dann erfolgversprechend, wenn der Süchtige freiwillig an der Therapie und der Rehabilitation mitwirkt“.

Ähnlich formuliert es auch der deutsche Bundesgerichtshof. Entziehungsbehandlungen haben dann Aussicht auf Erfolg, wenn u.a. eine entsprechende „Therapiebereitschaft“ besteht.

Die vier Phasen eines Entzuges

Tatsächlich kann ein Entzug nur dann Erfolg haben, wenn die betroffene Person ihn aus eigenen Stücken, also freiwillig vornimmt. Professionell begleiteter Entzug besteht aus vier Phasen:

  • Motivation: Voraussetzung für einen erfolgreichen Entzug ist, dass Betroffene aus sich selbst heraus den Willen haben, die Suchterkrankung behandeln zu lassen. Diese Motivation kann v.a. durch Gespräche mit Angehörigen, Beratungsstellen und nicht zuletzt Psychotherapie gefördert werden. Ein Mindestmaß an Freiwilligkeit ist naturgemäß Voraussetzung dafür, dass sich eine entsprechende Motivation einstellt. Motivation ist nicht erzwingbar.
  • Körperliche Entgiftung: Der für die Betroffenen aufgrund der Entzugssymptome vielleicht herausforderndste Schritt kann medizinisch begleitet werden. Diese Phase ist gegen den Willen der Betroffenen vorstellbar.
  • Entwöhnung: Hier erfolgt die psychische Behandlung der Sucht. Zur Vermeidung eines Rückfalls sollte sie möglichst nahtlos an den körperlichen Entzug anschließen. Die Phase zeichnet sich durch Psychotherapie, psychosoziale Maßnahmen, Entspannungstraining u.a. aus. Freiwilligkeit ist dabei zwingende Voraussetzung für ein Gelingen der Therapie. Sowohl ein stationäres als auch ein ambulantes Setting sind möglich.
  • Nachbetreuung: Die Integration der erlernten Strategien in den Lebensalltag wird professionell, z.B. durch Sozialarbeit begleitet. Speziell bei Jugendlichen wird dabei auch die (Re-)Integration in die schulische und berufliche Ausbildung unterstützt. Auch diese Phase kann nur freiwillig und jedenfalls außerhalb eines stationären Settings erfolgen.

Es zeigt sich, dass ein nachhaltiger Entzug mit dem Ziel der Abstinenz nur in geringem Ausmaß – nämlich der körperlichen Entgiftung – ohne Zustimmung der Betroffenen möglich ist. Ein zwangsweiser Aufenthalt in der Psychiatrie kann das Ziel der Entwöhnung nicht erreichen. Suchterkrankte Menschen auf einer stationären Psychiatrie einzusperren, ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt, verschiebt das Problem auf später und kann sogar gefährlich sein: Bei erneutem Konsum nach der körperlichen Entgiftung kommt es leichter zu einer Überdosis, wenn dieselbe Menge an Drogen konsumiert wird wie zuvor. Der Körper ist diese Dosis dann einfach nicht mehr gewohnt.

Davon abgesehen sind allgemeinpsychiatrische Stationen für die Suchtbehandlung gar nicht ausgestattet – schon gar nicht kinder- und jugendpsychiatrische Stationen. Nur spezialisierte Suchtkliniken bieten (freiwilligen) Entzug an und verfügen über das dafür nötige Instrumentarium.

Unsere Forderung

Um Minderjährigen mit Suchtproblematik nachhaltig helfen zu können, sind zunächst außerstationäre Angebote erforderlich. Eine negative Entwicklung in Richtung Suchterkrankung muss frühzeitig erkannt werden, damit rasch ein passendes Angebot gemacht werden kann. Je früher es solche Angebote gibt, umso eher werden sie von den Betroffenen auch angenommen und umso eher führen sie zum Erfolg.

VertretungsNetz fordert daher, ambulante Angebote wie bspw. Hometreatment, Kassentherapieplätze, Tageskliniken und stationäre Therapieangebote in offen geführten Spezialeinrichtungen deutlich auszubauen. Es darf nicht sein, dass junge Menschen monatelang auf einen Therapieplatz warten. Denn es zeigt sich, dass viele während dieser Zeit immer tiefer in ein Suchtverhalten geraten und die Therapiebereitschaft immer mehr abnimmt.